Am 1. September wird in Thüringen und Sachsen gewählt. In den letzten Wochen war ich selbst vor Ort im Wahlkampf unterwegs. Bei meinen Gesprächen in der Fußgängerzone und am Gartenzaun in Pirna, mit unseren Landtagskandidatinnen in Leipzig und bei Bürgerdialogen in Gotha habe auch ich schnell gemerkt: Hier hat es die demokratische Mitte deutlich schwerer als bei vergangenen Wahlen.
Die Bedeutung der insgesamt drei Landtagswahlen in Ostdeutschland im September weist weit über den Osten Deutschlands hinaus. In Thüringen und Brandenburg führt die AfD in Umfragen. Wie so viele frage ich mich: Warum verorten so viele Menschen ihre politische Heimat in einer Partei, die in Thüringen und Sachsen „gesichert rechtsextremistisch“ ist und unverhohlen die Axt an die Fundamente unserer Demokratie anlegt?
Die Gründe sind sicherlich vielschichtig – so gehört zum Erbe der DDR eine zweifelsfrei engere Verbundenheit zu Russland. Über Jahrzehnte fehlende Zuwanderung und Integrationserfahrung haben die Ablehnung gegenüber Migranten vielerorts befördert. De-Industrialisierung, Massenabwanderung, fehlende Möglichkeiten zum Vermögensaufbau und hohe Arbeitslosenzahlen haben das Vertrauen in den Staat in den 1990er Jahren beschädigt. Und Parallelen gibt es auch heute – der klimafreundliche Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ruft alte Ängste hervor.
Doch mein Eindruck vor Ort war auch: Viele Menschen nehmen nicht wahr, was sich in unserem Land seitdem alles entwickelt hat – und zwar gerade im Osten. Ich denke an Städte wie Leipzig und Erfurt, wo die Studierendenzahlen immer weiter steigen, an die riesigen Investitionen in die Infrastruktur, den Aufbau neuer Standorte in der Halbleiter- und Pharmaindustrie oder auch die Rentenanpassungen.
Doch statt ein optimistisches Zukunftsbild zu zeichnen, speisen AfD und BSW ihren Zuspruch aus einer Abwärtsspirale, die Unzufriedenheit, ein Gefühl der Benachteiligung und Ängste bedient und die Spaltung zwischen Ost und West vorantreibt.
Ja, der Frust vieler Bürgerinnen und Bürger, der Populisten und Extremisten große Zustimmung verschafft, sitzt tief und wird nicht von selbst verschwinden. Was es angesichts der drängenden Probleme braucht, ist verantwortliches politisches Handeln mit positiver Perspektive, realistischen Zielen, vertretbaren Kompromissen und klarer Kommunikation. Mit Selbstmitleid und Pessimismus ist niemandem geholfen.
Veröffentlicht im Schwäbischen Tagblatt am 16.08.2024