Blog : Kolumne

Mein Kommentar: Humanität und Ordnung

Mein Kommentar: Humanität und Ordnung

Allein über das Osterwochenende haben 3000 Menschen über die lebensgefährliche Mittelmeerroute Italien erreicht. Die Gründe für ihre Flucht sind so vielfältig wie die Lebenssituation in vielen Ländern Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens. Nach der immensen Hilfsbereitschaft für hunderttausende Kriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak leisten Verwaltungen, Hilfsorganisationen und Freiwillige Enormes, um auch den über eine Mio. geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern Zuflucht und Zuversicht zu geben. Deutschland ist ein starkes und hilfsbereites Land – und das ist gut so.

Doch immer mehr Landkreise und Kommunen klagen über die Folgen der steigenden Zahl an Schutzsuchenden. Allein 2022 wurden in Deutschland rund 244.000 Asylanträge gestellt. Die Kommunen sind an der Belastungsgrenze. Nachdem sich die Bundesregierung ihren Sorgen und Nöten gegenüber bislang taub stellt, suchte die Unionsfraktion kürzlich den Austausch mit über 200 Landräten und Oberbürgermeistern. Wie im Kreis Tübingen mangelt es überall nicht nur an kurzfristigen Unterbringungsmöglichkeiten und langfristig nutzbarem Wohnraum, sondern auch an Schulen, Kindergärten, Sprachkursen, Fachkräften und Ehrenamtlichen.

Deutschland und Europa brauchen dringend eine strategische Migrationspolitik, die Humanität für Schutzsuchende garantiert und für Ordnung sorgt, damit abgelehnte Asylbewerber wieder in ihre Heimatländer zurückkehren können. Dafür hat die Unionsfraktion sehr präzise Vorschläge gemacht: Wir wollen Asylverfahren und Arbeitsmigration klarer voneinander trennen, für eine solidarische Lastenverteilung im Europäischen Asylsystem sorgen und gezielter Fachkräfte anwerben. Migrations- und Rückführungsabkommen sowie Entwicklungspartnerschaften mit Herkunfts- und Transitländern, aber auch die Handels- und Visapolitik spielen dabei eine wichtige Rolle.

Gleichzeitig müssen wir für die Einwanderung in den Arbeitsmarkt deutlich aktiver werben. Pauschale Vorurteile und gezielte Ressentiments schaden einer Einwanderungskultur genauso wie lähmende Bürokratie. Deshalb wollen wir eine Einwanderungsagentur schaffen, die Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen aus einer Hand und digital ermöglicht. Mit Humanität und Ordnung kann es uns gelingen, dass die Hilfsbereitschaft nicht überstrapaziert wird und Menschen mit Bleiberecht und Fachkräfte gute Perspektiven haben.

Veröffentlicht im Schwäbischen Tagblatt am 14.04.2023.

Mein Kommentar: Putins perfide Strategie

Mein Kommentar: Putins perfide Strategie

„Freiheit ist, als Frau eigene Entscheidungen treffen zu dürfen“, sagt eine junge Iranerin. Was für ein Leben muss das sein, wenn man als Frau nicht anziehen darf, was man will, nicht alleine in einer Wohnung leben, alleine verreisen, ein eigenes Bankkonto haben darf? Genau das erleben Millionen Frauen und Mädchen: In Afghanistan haben die Taliban sie aus dem öffentlichen Leben verbannt. Im Iran kämpfen Frauen unter Androhung der Todesstrafe unerschrocken weiter gegen das Mullah-Regime. In der Ukraine werden Frauen und Mädchen von russischen Soldaten systematisch brutal vergewaltigt. Der Internationale Frauentag am Mittwoch wirft ein grelles Schlaglicht auf die verzweifelte Lage von Frauen weltweit. Wissen wir unsere Freiheit hier eigentlich genug zu schätzen?

Diese Frage beschäftigt mich umso mehr, wenn ich von Appellen und Manifesten lese, die unterstützt von ganz rechts und ganz links naive bis zynische Vorstellungen von Frieden und Freiheit propagieren und ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und sofortige Verhandlungen fordern. So sehr wir uns alle nach einem Ende der Gewalt und Frieden sehnen, dürfen wir uns keine Illusionen über diesen Krieg und seinen Verursacher Putin machen. An Diplomatie und Gesprächsbereitschaft hat es gegenüber Russland in den letzten Jahren nie gemangelt. Wer einen Verhandlungsfrieden will, der nicht auf die Unterwerfung der Ukraine hinausläuft, der muss ihre Verteidigungsfähigkeit stärken.

Putin verhöhnt Frauen- und Menschenrechte, so auch in seiner jüngsten Ansprache. Hinter seiner Rhetorik der angeblichen Verteidigung „traditioneller Werte“ wie Familie, Religion und Kultur, verbirgt sich eine perfide Strategie: Die Verächtlichmachung von Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Vielfalt bedient ein Narrativ, das Ängste in der Bevölkerung vor dem Verfall der Familienstruktur, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der nationalen bzw. kulturellen Identität schüren und seine autoritäre Politik rechtfertigen soll. Denn Frauen- und Menschenrechte stehen für Freiheit und Demokratie, sie verkörpern das „westliche Feindbild“. Die Stärkung von Frauenrechten muss deshalb auch eine Antwort auf diesen Krieg sein. Dazu braucht es eine Außenpolitik, die ohne ideologische Überhöhung Frauen in ihren Fokus rückt und sich imperialem Machtstreben wo auch immer entschlossen entgegenstellt.

Veröffentlicht im Schwäbischen Tagblatt am 03.03.2023.

Mein Kommentar: Stolpersteine der Erinnerung

Mein Kommentar: Stolpersteine der Erinnerung

„B-Dur sei die Tonart deines Lebens, denn sie kennt kein Kreuz“, schrieb die Tante von Lilo Ermann 1936 der damals 10-jährigen in ihr Poesiealbum. Lilo Ermann wurde in Auschwitz ermordet, das Poesiealbum aber überlebte den Holocaust. Es ist eines von 16 Gegenständen aus der Gedenkstätte Yad Vashem, die zum heutigen Holocaust-Gedenktag für eine Ausstellung im Bundestag zum ersten Mal nach Deutschland zurückgekehrt sind.

Es sind Alltagsgegenstände – eine Puppenküche, ein Aktenkoffer, ein Chanukka-Leuchter. Sie sind Zeugnisse zerstörter Leben, eines Massenmordes unvorstellbaren Ausmaßes. Der Satz im Poesiealbum bewegt mich sehr, weil er von den Wünschen für ein junges Mädchen handelt, deren Leben, wie das von 6 Mio. Menschen, von den Nationalsozialisten vernichtet wurde. Auch im Jahr 2023, 90 Jahre nach der „Machtergreifung“, müssen wir mehr denn je solche Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlagen, um unserer Verantwortung für den Holocaust gerecht zu werden.

Auch Tübingen sucht nach dem richtigen Weg im Umgang mit der Geschichte: So wird kontrovers über die Benennung von Straßen diskutiert, deren Namensgeber umstritten sind. Und Tübingen ist dabei kein Einzelfall: Richard Wagner, Martin Luther, Johann Wolfgang von Goethe, Otto von Bismarck – es sind Persönlichkeiten, deren außergewöhnliche Bedeutung in der deutschen Geschichte und darüber hinaus, den Umgang mit ihnen so schwierig macht. Die Auseinandersetzung damit ist jedoch elementar für unsere Erinnerungskultur und stärkt das historische Bewusstsein.

Doch machen wir es uns nicht zu leicht, wenn wir uns Teilen unserer geschichtspolitischen Entwicklung durch Umbenennung einfach entledigen? Auch Straßennamen, Plätze und Säle sind Abbild ihrer Zeit. So einiges, was damals gesagt, geschrieben und entschieden wurde, empfinden wir heute als Zumutung. Und nur weil es damals nicht reflektiert oder akzeptiert war, kann es heute nicht unwidersprochen so stehen bleiben.

Doch statt ideologiegetriebenen Revisionismus zu betreiben, bedeutet ein verantwortungsbewusster Umgang mit unserer Geschichte auch, die Komplexität und Dilemmata in unserer Erinnerungskultur anzuerkennen – nicht um Unrecht zu relativieren, sondern um Bewusstsein für gesellschaftliche Kontexte zu schaffen. Auch Straßennamen können „Stolpersteine“ in der Aufarbeitung unserer Geschichte sein.

Veröffentlicht im Schwäbischen Tagblatt am 27.01.2023.

Mein Kommentar: Mehr Entschlossenheit

Mein Kommentar: Mehr Entschlossenheit

Noch acht Mal dürfen wir ein Türchen am Adventskalender öffnen, bis wir im Familienkreis zusammenkommen, Weihnachtslieder singen und mit Plätzchen, Würstchen und Kartoffelsalat den Heiligen Abend feiern. Weihnachten hat für mich eine besondere Bedeutung: Es ist die Zeit, auf das zu Ende gehende Jahr zu blicken und sich bewusst zu machen, was es ausmachte und was darin wirklich zählte.

In diesem Jahr fällt es mir nicht leicht, mich an liebgewonnenen Traditionen, Lichtern und Geschenken zu erfreuen. Der Krieg in der Ukraine trübt die ausgelassene Stimmung. Seine Folgen spüren auch wir hier: Angesichts eisiger Temperaturen blicken viele Menschen mit Sorge auf die hohe Inflation und die stark gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise. Es sind kräftezehrende Monate für unsere Gesellschaft und Wirtschaft. Dabei haben wir 2022 in der Hoffnung begonnen, nach zwei herausfordernden Pandemie-Jahren eine der einschneidensten Krisen in ihrer schlimmsten Phase überwunden zu haben.

In der Ukraine operieren Ärztinnen und Ärzte in diesen Tagen mit Handylicht, Familien harren in klirrender Kälte ohne Strom und Warmwasser in ihren Wohnungen aus. Für viele ist es das erste Weihnachten ohne ihre Männer, Väter und Brüder, die an der Front gegen die russischen Angriffe auf ihre Energieinfrastruktur kämpfen. Das Land ist dringend auf unsere Unterstützung angewiesen, um durch den Winter zu kommen. Zu oft war die Bundesregierung zu zögerlich, zu widersprüchlich – ich denke an die langwierigen Debatten um Waffenlieferungen, Entlastungspakete oder die angekündigte Zeitenwende, in der nun die Verteidigungsausgaben sogar noch sinken. Wir dürfen Moral und Pragmatismus nicht gegeneinander ausspielen, wollen wir uns in dieser konfliktiven internationalen Ordnung behaupten. Mehr Entschlossenheit wünsche ich mir auch mit Blick auf den Iran, wo das Mullah-Regime junge Menschen für ihren Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung auf brutalste Weise hinrichten lässt.

Für alle, die in diesem Jahr besonders unter Krieg und Gewalt leiden, bedeutet die Botschaft von Weihnachten daher mehr: Hoffnung und Zuversicht, dass am Ende Frieden und Gerechtigkeit über Tyrannei und Gewalt obsiegen. Lassen Sie uns dankbar auf das Gute hoffen und unsere Gegenwart mutig gestalten. Ihnen und Ihrer Familie wünsche ich ein gesegnetes Weihnachtsfest und alles Gute für 2023.

Veröffentlicht im Schwäbischen Tagblatt am 16.12.2022.

Mein Kommentar: Keine Angst vor Argumenten

Mein Kommentar: Keine Angst vor Argumenten

Gestern beschloss der Bundestag nach intensiver Debatte das sogenannte Bürgergeld. Am Montag wird das Gesetz im Bundesrat voraussichtlich scheitern und im Vermittlungsausschuss landen. Das hätte die Ampel im Interesse der Sozialhilfeempfänger vermeiden können, indem sie die Kritik von Kommunen, Wirtschaft, Bundesrechnungshof, aus den Personalvertretungen der Jobcenter oder der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit nicht mit billigen parteipolitischen Vorwürfen abgetan hätte. Keine Regierungsmehrheit hat Anspruch auf kritiklose Zustimmung zu ihren Vorhaben. Im Gegenteil: Unsere Demokratie basiert auf dem Prinzip der parlamentarischen Kontrolle durch die Opposition. Deshalb ist es geradezu unsere Pflicht, auf die maximale Komplexität und Bürokratie sowie die gravierenden Folgen dieses Vorhabens aufmerksam zu machen. Gespielte Empörung und Beleidigungen aus Angst vor Argumenten ersetzen die fachliche Auseinandersetzung nicht.

Dazu gehört auch anzuerkennen, was richtig und notwendig ist wie die Erhöhung der Regelsätze und der Hinzuverdienstgrenze. Das wollen auch wir, denn Inflation und Krisen belasten armutsbetroffene Menschen am stärksten. Doch der sicherste Weg aus Armut und Arbeitslosigkeit führt über Beschäftigung. Die Anreize dazu durch das sog. Bürgergeld gerade in den ersten sechs Monaten zu reduzieren, ist kontraproduktiv. Auch ein Schonvermögen von bis zu 150.000 Euro bei einer vierköpfigen Familie ist gegenüber einer Bäckereifachverkäuferin und ihrer Familie, die davon nur träumen kann, mehr als erklärungsbedürftig. Industrie, Handwerk und Sozialeinrichtungen suchen händeringend Arbeitskräfte. Einer Million Langzeitarbeitslosen stehen fast doppelt so viele offene Stellen gegenüber. Statt diese Personalnot durch verstärkte Vermittlung und Begleitung der Jobcenter zu lindern und neue Chancen in Arbeit zu eröffnen, kürzt die Bundesregierung die Mittel für die aktive Arbeitsmarkteingliederung um 600 Mio. Euro. Dadurch schafft die Ampel nicht mehr Respekt für die Betroffenen, sondern lässt sie im Stich.

Wir dürfen das „Fordern“ nicht aufgeben und müssen gleichzeitig beim „Fördern“ besser werden. Nur so bleibt der gesellschaftliche Zusammenhalt zwischen denjenigen, die mit ihren Steuern die Leistungen finanzieren, und denen, die unsere Solidarität und Unterstützung brauchen, auch erhalten.

Veröffentlicht im Schwäbischen Tagblatt am 11. November 2022.

Mein Kommentar: Entschlossen im Unkonkreten

Mein Kommentar: Entschlossen im Unkonkreten

Die Tage werden kürzer, die Wohnzimmer kälter und die Zeit wird langsam knapp: Doch auch Anfang Oktober ist weiter unklar, wie Bürger und Unternehmen in Deutschland durch den bevorstehenden Winter kommen werden. Hier in Namibia, wo ich mich gerade auf einer Delegationsreise des Deutschen Bundestages befinde, liegen die kalten Temperaturen zwar in weiter Ferne. Die Frage, wie wir unsere Energieversorgung langfristig sichern, allerdings ganz und gar nicht: Im Südwesten Namibias entsteht in Zusammenarbeit mit der deutschen Enertrag AG die erste große Produktionsanlage für grünen Wasserstoff. Beim Besuch gestern wurde deutlich, wie groß das Potential an Erneuerbaren Energien in Namibia ist. Die rund 300.000 Tonnen grüner Wasserstoff und dessen Derivate, die dort produziert werden sollen, machen das Projekt nicht nur zu einem wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Nachbarkontinents.

So wichtig eine international diversifizierte und widerstandsfähige Energieinfrastruktur langfristig auch ist – das Ausmaß der Krise und der Risiken für die Existenz so vieler Bürger und Unternehmen sind bereits jetzt immens. Ja, die Probleme sind komplex und die Aufgaben groß – doch alleine mit dem Gerangel um die Gas-Umlage hat die Ampel-Koalition viel wertvolle Zeit vertan. Und so steht auch Anfang Oktober nur fest, dass nichts feststeht: Gaspreis- und Strompreisbremse, Geld für einen Neun-Euro-Ticket-Nachfolger, Hilfen für Betriebe und Privatpersonen – die wichtigsten Antworten liegen im Ungefähren. Welcher Preis steht nun am Ende auf der Gas- und Stromabrechnung? Besonders schwer wiegt, dass es immer noch keine Lösung für zielgenaue Wirtschaftshilfen und Härtefallregelungen gibt, die mittelständischen Unternehmen, aber auch Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder kommunalen Energieversorgern zugutekommen.

Für mich steht daher fest: Die Gaspreisbremse muss jetzt so schnell wie möglich in Kraft treten. Je wirksamer sie ist, desto mehr entlastet sie die Länder. Von den gedeckelten Preisen profitieren dann auch Kliniken oder Kindergärten. Zur Dämpfung der Energiepreise bleibt aber auch die Ausweitung des Angebots entscheidend. Bei all dem wünsche ich mir ein klares, entschlossenes Signal der Bundesregierung, statt Bürger und Unternehmen verunsichert zurückzulassen.

Veröffentlicht im Schwäbischen Tagblatt am 07. Oktober 2022.